„Den Ewald Bubner musst Du kennenlernen“, teilt mir Fritze Dressler mit. Er hat gerade einen Job in Frei Ottos Atelier in Berlin bekommen. Ein erstes Treffen glückt noch in Berlin auf einer Party der Dresslers. Richtig lerne ich die Bubners aber erst in Warmbronn kennen. Die Planungen für die Olympiabauten in München stehen an. Langhaarige und Bärtige in exzentrischer Kleidung bevölkern Warmbronn und das dortige Atelier. Hier führt Ewald gemeinsam mit Frei Otto Regie. Das Münchner Projekt: eine Riesenarbeit, die im Atelier und im Vaihinger Institut zu bewältigen ist, Stress, Komplikationen, Streit mit Günther Behnisch, Streit mit Fritz Leonhardt, ein immer aufgeregter Otto und mittendrin cool Ewald, der steuert, beruhigt, das Team anweist und motiviert, Verhandlungen führt, die Entwicklungen weitertreibt, mehr als alle anderen arbeitet. Frei Ottos Kommentar: „Was kann der Ewald arbeiten!“ Die Mitarbeiter sind ein buntes internationales Völkchen, darunter sehr eigene Leute wie Rob Krier, Oleiko, Fritz Dressler, Bodo Rasch, Einar Thorstein. Ein Stück bergauf wohnen die Bubners, Ewald, Christa und die drei Knaben Martin, Niko, Benni. Dort zieht es uns hin. Mit Familie und Beruf eigentlich hinreichend ausgelastet, glänzen die Bubners dennoch als Gastgeber. Häufige Treffs, ganze Serien von Parties finden bei ihnen statt. Sie bleiben in schönster Erinnerung.
Ewald plant gemeinsam mit Frei Otto nach Olympia noch viele Projekte und Bauten, darunter die Mannheimer Gitterschale (das „Wunder von Mannheim“) und die spinnwebfeine Hellabrunner Voliere. Seine wesentlichen Anteile an Entstehung und Realisierung dieser bedeutenden Arbeiten zu würdigen, fehlt hier die Zeit. Ewald hat diese Zusammenarbeit im Nachhinein als den „vielleicht aufregendsten Abschnitt seines Berufslebens“ bezeichnet. Als Ewald den Ruf nach Essen erhält, schmieden wir Pläne: Vielleicht findet sich dort auch ein Platz für mich? Vielleicht können wir dort gemeinsam was machen? Das klappt leider nicht. Wie gerne wäre ich mitgekommen!
In Warmbronn beginnt also die Freundschaft mit Ewald und Christa. Beim Rückblick durchquere ich ganze Wolken von Erinnerungen. Ich greife einige heraus:
Ewalds schon angesprochene Arbeitslust. Gerne sieht man seinen Aktivitäten im Atelier zu: Wie aus dem Ei gepellt sitzt er da, zeichnet, korrigiert flott, lenkt mit höchster Präzision die Arbeiten, schmettert mit einem „Danke!“ den Telefonhörer hin. Die Stimme sonor, die Sprache Berlinisch, der Ton bestimmt. Nicht weniger sehenswert die gutgelaunten Aktivitäten zuhause. Niemand wischt so elegant den Tisch, niemand führt den Staubsauger so zielstrebig. Nach arbeitsreichen Tagen sitzt Ewald nachts unten im Souterrain, neben Martins Refugium und schreibt an seiner Dissertation. Bei unserem Spanien-Urlaub sitzt Ewald in Badehose mit Leitz-Ordner am Mittelmeerstrand und studiert Spanisch. Während der Rheinsberg-Ferien studiert er die Kunst des Cocktail-Mischens und serviert uns täglich neue Kreationen: Wohlige Abende mit Weichzeichner!
Ewald und die Musik: für Insider nur ein Wort: „Plattenraten“! Ein Heiden-Spaß! Ewald scheitert an meinen Renaissance-Platten. Seine Rachmaninov-Platten sind für mich eine Entdeckung. Wir baden in der Musik. Höre ich heute Rachmaninov, denke ich an Ewald. Das Singen: Ewald und Christa kennen unzählige schöne und lustige Lieder. Gemeinsam gesungen haben wir, aber leider nicht oft.
Die Literatur: belesene Architekten sind rar. Ewald war einer von ihnen. Die Architekturgeschichte: Ewald missbilligt den spanischen Barock.
Ewald und die Familie: Ein schönes Thema, das Wort überlasse ich den Söhnen.
Ewald und die Frauen: Ewald steht auf Christa, da können ihm andere Damen noch so schöne Augen machen. Aber so ein bisschen schäkern: durchaus gerne! Zufallsbegegnung mit Ingrid Steeger, Ewald: „Wo ist denn nun der Schlitz im Kleid, Frau Steeger?“
Gemeinsame Reisen:
Christa und Ewald, Erika und Rainer paddeln auf den Brandenburger Seen, gute Stimmung zwischen beiden Booten; in Mallorca die abendlichen Katzenfütterungen; in den Pfahlbauten im Neusiedler See: Mückenwolken, Benni kann den kompletten Otto Waalke auswendig; Reise nach Moskau: mit Evald-Karlovič beim russisch-ossetischen Gelage in Murats Datscha; Urlaub bei uns in Ziegelstadel: Ewald tritt auf der Wiese in ein Wespennest und bricht alle Geschwindigkeit-Rekorde. Auf den Reisen, bei vielen Spaziergängen unsere Gespräche und Diskussionen. Manche Ideen, Spinnereien, Vorhaben sind tatsächlich doch etwas geworden! Nach langer Pause haben wir uns ein letztes Mal im vorigen Jahr in Würzburg getroffen.
Überrascht bemerke ich, dass Ewald im Juli seinen 89. Geburtstag gefeiert hat. Er wirkte so jung, irgendwie alterslos. Etwas war Ewald immer vom Jugendgruppenführer geblieben, der vorangeht, dem alle folgen. Nun also der Abschied. Mancher liebe Freund hat uns in den letzten Jahren schon verlassen. Wir sind eben alt. Aber dieser Abschied - liebe Christa, lieber Martin, lieber Niko, lieber Benni - schmerzt doch sehr.
Ein früher Bau von Ewald ist gerade als „Kleinod“ im neuen Ingenieurbauführer Berlin gewürdigt worden: seine evangelische Kirche in Berlin-Schönow von 1963. Die feine Architektur verkörpert Manches, was wir an Ewald geschätzt und geliebt haben: Einfachheit, Klarheit, Ausgewogenheit und Spiritualität.
Lieber Ewald: Adieu!
Rainer Graefe November 2021